Mit dem Rad der Sonne entgegen

Cycling towards the sun

Tag 78 – 79: Datong

Posted by raimundschallauer - 30. September 2011

Sa 24.9.2011

Tatsächlich, um 7 Uhr wurde ich abgeholt. Wir kamen zum Radgeschäft und es warteten ca. 20 Leute auf uns. Mein Rad war gerichtet, ich hatte ein komplett neues hinteres Laufrad, nur der Zahnkranz war geblieben und auch die Bremse war wieder in Ordnung. Die Wartenden wollten sich alle mit mir fotografieren, ein Gruppenfoto und Einzelfotos wurden gemacht. Ich bezahlte die Reparatur, 600 Yuan, und wollte mit der Verkäuferin noch ein paar Sachen besprechen, aber ich wurde zum Aufbruch gedrängt, ich dachte, die ganze Partie will mich zum Hostel begleiten. Wir fuhren aber in eine ganz andere Richtung, bis ich schließlich begriff, wir machen einen Radausflug. Ich wollte an diesem Tag die Yungang-Grotte besuchen und mein Knie schonen, auch hatte ich weder Radhandschuhe, noch Getränkeflaschen mit, Frühstück hatte ich auch keines. Aber es half nichts, wir waren unterwegs aus der Stadt raus und es wurden immer mehr Biker, sie hatten Treffpunkte, wo andere auf uns warteten. Schließlich waren wir ungefähr 40 Radfahrer, bei zweien bin ich dahintergekommen, dass sie ein wenig Englisch können. Es war schönes Radwetter und lustig, wieder einmal in einer Gruppe zu fahren. Sie hatten sogar ein Begleitauto dabei. Es handelte sich quasi um den Datonger Radclub. Sie hatten ihren Spaß und waren so lustig, dass man einfach mitlachen musste, auch wenn man meist nicht verstand, worum es ging. Alle boten mir ständig Esssachen und Getränke an und ich war der ‚Hero‘, weil sie von meiner Kondition trotz meines Alters so beeindruckt waren.

Es war fast Mittag, wir fuhren durch eine kleine Stadt, Verkehrschaos wie immer, ein Bus stand rechts an seiner Haltestelle, wir fuhren vorbei, links neben mir ein anderer Biker, also ließ ich nicht viel Abstand zum Bus und so passierte es. Direkt vor dem stehenden Bus wollte eine Frau ohne zu schauen die Straße queren und ausgerechnet mir lief sie in das Rad. Ich hatte keine Chance vorbei zu kommen, das Rad brachte ich noch um sie herum, aber mit meiner rechten Schulter verpasste ich ihr einen ordentlichen Schlag gegen den Kopf. Ich blieb stehen, die anderen auch, die Frau schrie und weinte und es entwickelte sich eine Diskussion zwischen ca. 20 Radfahren und 15 Passanten. Wir würden derartiges schlicht als Schreiduell bezeichnen. Ich brauchte kein Wort zu sagen, verstand aber auch keines. Mit der Zeit ebbte die Schreierei etwas ab, die Polizei war gerufen, wir warteten. Nach einer halben Stunde kam endlich ein Polizeiwagen, der Polizist stieg aus, kam zu uns und das Schreiduell begann von Neuem. Der Polizist stand seelenruhig da und hörte sich das Ganze an, nach 10 Minuten ging er wieder zu seinem Wagen und kam mit einem Zweiten wieder. Dann wurden Einzelgespräche geführt, mit der betroffenen Frau und mit dem, der neben mir gefahren war. Die Situation hatte sich ein wenig beruhigt. Inzwischen war auch der Chef des Radklubs, der schon voraus war, wieder zurück gekommen. Der versuchte die Situation weiter zu deeskalieren, sprach mit den Polizisten und auch  mit der Frau, er war auch Polizist, wie ich später erfuhr. Irgendwann kamen sie auch zu mir, ich musste ihnen meinen Pass zeigen, den haben sie fotografiert, ich schrieb ihnen noch meinen Namen und die Passnummer auf einen Zettel und schließlich wurde ich noch gefragt, ob ich in ein Spital will und Geld für die verlorene Zeit von der für schuldig befundenen Frau fordere. Ich verneinte beides und so nahmen mich meine Biker bei Seite und bedeuteten mir, dass es weiter ging.

Wir fuhren zu einer, wie sie mir sagten, heiligen Stätte 60 km außerhalb der Stadt, in einem ganz abgelegenen Dorf, das nur über eine Schotterstraße zu erreichen war. In dieser Gegend steht auch noch ein Teil der Chinesischen Mauer, er ist aus Sand und Lehm gebaut und deshalb auch schon sehr verfallen. Es ist ein Stück der Mauer, den wahrscheinlich noch nicht viele Österreicher gesehen haben. Wir besichtigten beides, kletterten an der Mauer herum und dann gab es ein chinesisches Picknick, ich war natürlich eingeladen. Es war so schön dort, dass wir erst am späten Nachmittag wieder wegfuhren, ich dachte mir eh schon, das wird spät, 60 km zurück und Tempofahrer waren sie ja auch keine. Es kamen dann noch 4 Reifendefekte dazu, sodass wir die letzten 20 km bei völliger Dunkelheit fuhren. Das war echt krass, die meisten, ich auch, hatte keine brauchbaren Vorderlichter, es war ein Blindflug. Wir erreichten aber glücklicherweise unfallfrei die Stadt. Die meisten fuhren heim, 8 begleiteten mich noch zum Radgeschäft und schlugen ein gemeinsames Abendessen vor. Wir gingen ein ein kleines familiäres Lokal und aßen alle möglichen chinesischen Gerichte. Es wurde einfach aufgetragen und jeder konnte von allem essen. Es kamen dann noch ein paar vom Klub dazu, wir waren geschätzte 15 Leute und hatten einen feuchtfröhlichen Abend. Die Räder hatten wir im Geschäft gelassen und ich wurde im Taxi nach Hause gebracht. Mein Rad, es sollte nochmals gecheckt werden, soll ich am Sonntag um 10 Uhr abholen. Den ganzen Tag über wurde ich voll verpflegt, verhätschelt und fotografiert und brauchte keinen einzigen Yuan.

1. in den Radclub aufgenommen, 2. zum richtigen Radwetter die richtige Radstraße, 3. Bataizicun, unser Ausflugsziel und mein Namensgeber, 4. alte chinesische Mauer, 5. kurze Rast auf der Rückfahrt, 6. gemeinsames Abendessen

So 25.9.2011

Um ¾ 10 war ich schon beim Bikegeschäft. Es war offen, die nette Angestellte war auch wieder da. Gestern war sie auch um 7 Uhr morgens da, um ½ 9 abends war sie noch immer im Geschäft und sie ging auch mit uns Abendessen. Sie arbeitet 7 Tage die Woche, da traut man sich dann über einen freien Tag in der Schule gar nicht mehr zu freuen.
Mein Rad stand noch immer im Geschäft, sie gaben mir Werkzeug, ich begann die defekte Felge auszuspeichen, da kam der Herr vom 1. Tag und half mir. Von der gestrigen Radtour waren auch wieder ein paar da, als ich fertig war, fragten sie mich ob ich die Yungang-Grotte  (Weltkulturerbe) kenne. Ich sagte ihnen, ich möchte sie heute besuchen. Super, antwortete der Herr vom ersten Tag, er fahre mit dem Rad schnell nach Hause und würde in einer halben Stunde mit seinem Auto wieder da sein und mich dorthin bringen. Zwei andere fuhren auch noch mit. Die Grotte liegt  20 km ausserhalb der Stadt. Die Anlage ist wirklich beeindruckend. Ein riesiger Tempel und die ca 1500 Jahre alten Grotten für die buddhistischen Mönche.

1. Höhle des große Buddha (471 – 494 n.C.) Holzverkleidung aus 17. Jhdt., 2. Weiße Buddha Höhle, Überdachung eingestürzt, Statue 13,7 m hoch, 3. der Weg zum Ling Yan Tempel, 4. Ling Yan Tempel, 5. 9-Drachen-Wand, 6. Erklärung dazu, 7. neue Chinesischen Mauer in Datong, 8. Blick von der neuen Mauer auf die Stadt

Nach den 3 Stunden fuhren wir zurück, sie gingen mit mir Mittagessen in ein Lokal. Sie bezahlten. Dann zeigten sie mir noch die Nine-dragons-wall (500 Jahre alt) (daten folgen) und die in Datong neugebaute Chinesischen Mauer. Auch ein Riesending. Schließlich um 4 Uhr kamen wir wieder zum Radgeschäft. Mein Kette wurde noch gereinigt und geölt, dann konnte ich mich endlich losreißen und in mein Hostel fahren. Aber morgen vor meiner Abreise muss ich nochmals im Geschäft vorbeikommen, sie wollen mich verabschieden.
Zu Hause im Hostel waren im meinem Zimmer jetzt 2 Taiwanesinnen, ein Spanier eine Chinesin und ein Chinese. Alle, außer dem Chinesen sprachen Englisch, sodass wir uns gut unterhalten konnten. Jeder erzählte jedem die Geschichten und Pläne seiner Reisen. Es war sehr unterhaltsam und interessant. Schließlich gingen wir gemeinsam Abendessen. Für mich war das natürlich super, weil ich so wieder zu chinesischen Spezialitäten der lokalen Küche kam. Wenn die Chinesen in ihrem Land reisen, erfuhr ich, probieren sie immer die lokale Küche aus, so wie wir in Griechenland eben griechisch und in Italien italienisch speisen. Wir waren zu sechst, der Spanier kam erst später dazu, und bezahlten für Essen und Getränke insgesamt 130 Yuan (15 €). Auf dem Rückweg zum Hostel erzählte Debbie, das chinesische Mädel, von ihrem Hobby – chinesischer Operngesang – und ließ uns auch eine Kostprobe hören. Im Nu umstanden uns eine Menge Leute und applaudierten ihr, sie musste dann noch etwas singen und schließlich kam einer daher, sagte „Kommt alle mit, gleich dort ist mein Lokal, ich hab einen Extraraum für euch und ihr seid alle eingeladen.“ Wir waren um die 15 Leute, bekamen Bier und Knabberei soviel wir wollten und hatten eine riesen Gaudi. Eine Taiwanesin erklärte mir immer, worum es grad ging und so bekam ich auch einiges mit. Ich unterhielt mich viel mit dem Spanier, auch ein Alleinreisender über seine Erfahrungen mit China. Er war nämlich schon einige Male, einmal sogar sechs Monate ich China und ist vom Land und den Leuten restlos begeistert. Inzwischen bin ich es auch.

4 Antworten to “Tag 78 – 79: Datong”

  1. Harald said

    Eine selten klasse Geschichte! So was passiert einem selten und du hast gleich 2 tolle Tage hintereinander. Das mit den lokalen Spezialitäten habe ich schon gewusst. Aber bei deinem Tempo kennst Du ja China in einer Woche näher als alle normalen Reisenden es je kennen lernen. Zum Beneiden. Und wir picken hier in Wien, während Du den Fernwehvirus verbreitest.
    Das mit dem Adapter… Jaja, ich hab’s eh schon eingesehen. Ich schick‘ Dir gleich einen per post an „Raimund in China“. 😉
    Noch ‚mal zum Tunnel: 1) das Programm „Terminal.app“ starten und 2) die Kommandozeile eingeben. Dann das Schulkennwort und 3) bei Firefox den Proxy umstellen. Voila!
    Es freut mich, dass es dir so gut geht. Du trinkst wenig. 3 Liter für Sportler sind das Minimum. Und nicht Schnaps und Bier. Und das lecke Essen… schon wieder werd‘ ich neidig…

    • Raimund Schallauer said

      Servus Harald!
      Ich bin mit dem Antworten etwas hinten nach, ich geb mal die Schuld meinem Mac, das ist am einfachsten.
      Nur ein wort zu den Spezialitäten, ich hab inzwischen auch schon einen Frosch gegessen, scheckt gut. Wir wussten nicht, was das ist und haben den Kellner gefragt. Nachdem wir ihn nicht verstanden, ist er einfach in die Küche gegangen, hat einen lebenden genommen und ihn uns gebracht und gezeigt.
      Inzwischen funktionier auch der ‚Tunnel‘, aber das weißt auch schon, aber trotzdem nochmals DANKE,

  2. Eva said

    Da kann ich mich Harald nur anschließen: das sind ja wirklich super Erlebnisse, die du da schilderst! Nur gut, dass der Unfall genau bei dem Radausflug mit dem Radclub passiert ist, so haben das wenigstens Leute beobachtet, die Chinesisch sprechen – ich will mir nicht vorstellen, wie sowas ablaufen würde, wenn man da ganz auf sich allein gestellt ist und seine Version der Geschichte nicht einmal irgendwie erzählen kann.
    Aber wirklich genial, dass du da soviel „authentisches China“ siehst und erlebst! Und dass dir das chinesische Essen schmecken wird, war auch klar – es ist einfach traumhaft!

    • Raimund Schallauer said

      Ja, die Partie in Datong war echt ein Hammer.
      An das gleiche was du schreibst zu den Unfall hab ich mir auch gedacht, aber die Radler haben mir versichert, das sei nicht wirklich so arg. die chinesischen Polizisten sind gegenüber den eigenen Leuten viel strenger, als zu Ausländern. Ich ich war wirklich froh, dass die Radler dabei waren.

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